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H2O: Leiter, Christen, Dschihadisten



H2O hat immer unglaubliche Führungen erlebt, wie zum Beispiel die Partnerschaft mit Reningsborg, die auf wundersame Weise zustande kam und für beide Seiten zum Segen wurde. Doch das Leben bleibt nie, wie es ist, Zeiten ändern sich. Umstände auch. Und vor allem ändern sich Leiter.

Leiter.

Der Mensch braucht Leiter.  Im Wesen sind wir Herdentiere, auch wenn der stolz daherschreitende homo sapiens das heutzutage nicht mehr wirklich wahrhaben will. Ein "Guter Hirte"? Wird milde belächelt, weil mensch sein Ego nicht länger als dummes Schaf, sondern lieber als cooles, wissendes und autarkes Individuum sehen will, das es gemäß der Parole "Mein X gehört MIR!", wobei X beliebig ersetzbar ist, immer alles besser weiß als die anderen, vor allem sehr viel besser weiß als Leiter und Menschen mit Autorität.

Und dennoch. Komm schon, Mensch. Hand auf's Herz. Wir lassen uns alle sooo leicht leiten, manupulieren und verführen. Wer nämlich ganz genau hinsieht, könnte meinen, hier habe im Laufe der Jahrhunderte keine Evolution vom Schaf zum Denker stattgefunden, sondern eher eine Devolution vom Schaf zum Lemming, die sich skandinavischen Legenden nach massenhaft auf den Abgrund zubewegen, um dort qualvoll und jämmerlich zu verenden. Obwohl mittlerweile nachgewiesen ist, dass kein echter Lemming je in den Freitod gegangen ist, ist es für den Homo Lemmus, den Lemmingmenschen, jüngste Stufe der menschlichen Devolution, kein Problem, sich dennoch von erlogenen Legenden maßlos inspirieren zu lassen.

Keiner weiß, wieso ausgerechnet der Abgrund so faszinierend sein kann, wo man doch auch ganz einfach in die andere Richtung gehen könnte, oder sich sogar alternativ als Schaf zu grünen Wiesen und frischem Wasser leiten lassen könnte, wo einem nichts mangeln wird. Gewiss, der Weg dorthin geht nicht nur um die Ecke, er mag schmal und steinig sein und durch finstere Täler führen. Doch mit einem guten Leiter an der Spitze, einem mit Muskeln, Mut und Knüppel ist es das Abenteuer wert.

Lemminge hingegen, und hier meine ich den bereits genannten homo lemmus, folgen keinem Leiter, sondern nur der Masse. Dort fühlen sie sich sich stark und unüberwindbar, jeder ganz für sich und äußerst indivuduell. Wie ihre nagenden, vermeintlichen Vorbilder vermehren sie sich gern und mächtig und deshalb finden sich neuerdings sogar immer mehr Lemminge der Welt selbst in der Politik wieder. Doch dort wirken sie wie kalte Asche auf dem Wasser. Sie leiten nicht, sie strömen nur und färben alles grau.

Lemmingflut ist gleich Leiterebbe. Und so kommt es, dass auch immer weniger Schafe an gute Leithammel glauben, an wahre Versprechen und gute Visionen, an jene, die uns vom verbrannten zum lebendigen Wasser zu führen vermögen. Am Ende glauben sogar gute Leiter mehr an sich selbst, ihre Verantwortung, an das Gewicht und die Konsequenzen ihrer Entscheidungen, zweifeln an ihrer gottgegebenen Berufung und Vision. Müde vom Strom um sie herum beginnen sie langsam selbst zu strömen.

Alles kann sich immer ändern.

Die Entscheidung traf H2O viel härter als zunächst erwartet. Unsere Räume, in denen wir seit 2008 unsere Treffen hatten, Seelsorge führten, Büros und Mehrzweckräume für alle Arten kreativer Tätigkeit nutzen konnten, sollten ein Flüchtlingswohnheim werden und 2016 mussten wir raus. So hatte es der neue Leiter entschieden. Ob die Motivation zu seinem Entschluss pure Nächstenliebe zu den Flüchtlingen war oder die vielen Millionen Kröten, die vom Staat jährlich für ein ganzes Jahrzehnt "zugesichert" wurden, will ich nicht beurteilen. Beurteilen kann ich heute hingegen, dass mit jener Entscheidung ein großes Stück Segen verschwand - so wundersam, wie der Segen kam, verflüchtigte er sich auch wieder. Und wieder für beide Seiten.

Nur ein Jahr nach Fertigstellung des kostspieligen Umbaus des Gebäudes kam schon das Aus vom Staat: Alle "zugesicherten" Finanzspritzen ersatzlos gestrichen. Alle gerade erst neu Angestellten im neuen Wohnheim musste schon wieder gekündigt werden. Zurück bleibt ein obsoletes Flüchtlingsheim auf der Suche nach einem neuen Verwendungszweck und ein bedrohliches Schuldenloch, das alles ins Wanken bringt. Es soll weiter ein Heim bleiben, deshalb gibt es für H2O keinen Weg zurück.

H2O, nun obdachlos geworden, musste sich 2016 mit privater Gastfreundschaft und Treffen in Wohnzimmern begnügen. Dabei bewies sich wieder einmal, was wir schon immer wussten: in Schweden funktionieren Hausgemeinden nur für gemeindeeingeafhrene Christen und Gebetsprofis. Zählt man sich nicht zu diesen Kategorien, ist der Schritt über die Türschwelle eines "Fremden" viel zu privat, persönlich, intim. Erst konnten wir es ausgleichen, indem wir Gartenbauverein mieteten, ein wunderbares Lokal mit großem Grundstück. Doch dann wechselte auch dort der Leiter. Der neue versechsfachte die Miete. Da waren wir wieder draußen - und drinnen im Wohnzimmer. Seither war es für die neuen Leiter von H2O sehr, sehr schwer, neue Räume in Angered zu finden.

Nach einer Weile tat sich eine neue Möglichkeit auf. Sehr vielversprechend. Angered, preisgünstig, viele missionale Möglichkeiten eingeschlossen. Wir bewarben uns als Nutzer der Räume. Der Prozess war lang und steinig und strapazierte unsere Geduld. Es brauchte ingesamt vier Bewerbungen über ein ganzes Jahr, bevor wir eine endgültige Antwort erhielten. In der Zwischenzeit ist von H2O fast nur noch der harte Kern übrig - alle anderen Kontakte, die immer wieder mal aufgetaucht sind, haben wir bis auf Weiteres verloren. Man kommt ebensowenig ins Wohnzimmer, wie man andere Menschen ungezogen anfasst. Neue Räume auf neutralem Grund sind entscheidend.

Endlich kam der Bescheid: Wir können die Räume nutzen. Hurra. Unter einer Bedingung: Keine religiösen Handlungen. Kein Gebet, keine Bibel, kein Gottesdienst, kein nichtsdergleichen. Dschihadisten haben hier nämlich keinen Platz.

Tja. Zwischen uns und Terroristen liegen zwar Lichtjahre, aber Gesellschaften am Abgrund haben es schwer, zu differenzieren. Insbesondere beim Thema Glauben sieht man nur zweifarbig, rotweiß. Das ist langweilig, dumm und frustrierend.

In solchen Zeiten braucht es Leiter. Wahre, echte Leiter. Die dem Strom standhalten. Die das verheißene Land schon vor sich sehen, obwohl es noch viele, viele strapaziöse Reisetage entfernt ist. Die wissen, welche Umwege jetzt nötig sind. Die trotzdem allen anderen vor Augen malen können, was uns erwarten wird. Die zum Durchhalten anspornen. Leiter, die die Herde voranbringen und zusammenhalten.Nur dann werden wir immer wieder unglaubliche Führungen erleben.






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