Gewitter in den Alpen |
Hiob.
Vier Buchstaben, die, lang genug betrachtet, zum Katalysator einer chemischen Reaktion werden können, die sich fortsetzt und fortsetzt, immer weiter, weiter und weiter, je länger man sich nicht abwendet, stimuliert sie unsere Synapsen und Rezeptoren, dringt tiefer in die unerforschten Areale unseres Hirns ein, wirft Fragen nach Güte und unschuldigem Leid auf, lässt Geschichten des eigenen Lebens hochkommen, fordert Antworten, die sich partout nicht finden lassen wollen, und wenn man immer noch nicht aufgegeben hat, so zwingt uns schließlich unser Hirn selbst dazu, weil es nach Aktivierung zu vieler Zellen einen Kurzschluss vorgaukelt und wir nur noch matt und unbefriedigt zusammensinken.
Hiob, der stolze und geachtete Herr, der zum Wurm verkam, wortlos auf einen Haken gespießt, den Dämonen zum Fraß präsentiert. Wie leid er mir tut!
Nicht etwa, weil ihm alles genommen wurde, obwohl er nichts davon verschuldet hat, weder den Tod der eigenen Kinder, noch den Raub seines gesamten Besitzes bis auf den allerletzten Heller, er hatte keine Drogen genommen noch dummen Extremsport getrieben und dennoch wurde seine Gesundheit zerschmettert; auch nicht wegen seiner Frau - oh, wie hat er sie geliebt! Wie treu war er ihr, gestorben wäre er für sie, wenn es nötig gewesen wäre! -, die sich dennoch von ihm abwendete, ihn verließ, nicht ohne vorher zum Salzfass zu werden um die offenen Wunden ihres jämmerlichen Angetrauten darin zu wälzen, denn jetzt, wo er arm, krank und depressiv in der Asche saß, reichte ihr sein Sex-Appeal nicht mehr aus, und das sollte Hiob schließlich wissen, bevor sie verachtend sein Zelt verließ auf der Suche nach einem besseren Liebhaber.
So schmerzhaft das ist, Millionen Ehemänner haben ähnliche Foltern erlebt, Ehefrauen ebenfalls. Hiobs Ehe ist kein Einzelfall, der mein alleiniges Mitleid verdient. Die Summe seines Leids ist gigantisch, verdient unsere volle Anerkennung, unseren Respekt, unser echtes Mitgefühl, ebenso wie Millionen und Abermillionen Kriegsopfer von A bis Z der Menschheitsgeschichte, die sich alle sehr, sehr gut mit Hiob identifizieren können.
Seine Freunde mögen ebenfalls eine versalzene Entäuschung sein, doch wer heutzutage überhaupt noch Freunde hat, die zu dir kommen, sich niedersetzen, schweigen können, zuhören, reden, kann sich im Zeitalter des Social Media sehr glücklich schätzen.
Es ist das Ende der Geschichte, das mich stets bewegt hat. Gewiss, wir halten es für ein Happy End à la Hollywood, Hiob wurde reicher als je zuvor, mit gesunder Familie, er lebte glücklich bis an das Ende seiner Tage, doch Geschichte ist und bleibt Geschichte, wird nie ungeschehen sein, einmal durchbohrt ist immer durchbohrt. Wunden mögen heilen, Narben nicht. Trotz Füllspachtel bleiben Löcher im Gewebe, nichts ist wirklich wie es war. Und vor jenem vermeintlichen Happy End kommt, warum Hiob mir immer am meisten leidtat: Die Rede Gottes aus dem Wettersturm.
Wer je einem Unwetter in alpinem Gelände ausgesetzt war, von allen Seiten kalt beduscht, das schaurige Heulen des Sturmes durch die nasse Kleidung hörte, schäumende Todesangst vor dem nächsten Blitzeinschlag durch alle Gefäße kochend, wer vor allem diesem Krachen ausgesetzt war, jenem entsetzlichen Krachen des Donners, wie gigantische Mühlsteine, die sich von allen Seiten nähern um deine Knochen zu Staub zu knirschen, der weiß, was Wettersturm bedeutet. Und wer sich jetzt noch Gottes Stimme vorstellen will, die all das noch übertönt, muss zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass Gottes Ansprache an Hiob, gelinde ausgedrückt, die abschließende Ohrfeige gewesen sein muss, wenn nicht sogar der krönende Arschtritt, ausgeteilt vom Allmächtigen persönlich. So habe ich sie mir immer vorgestellt, die Rede Gottes aus dem Wettersturm, und sie hat mich fasziniert, denn alles, was Gott dort sagt, stimmt ja. Wort für Wort, da gibt es nichts zu diskutieren. Es ist nichts anderes als die Erinnerung, dass Gott Gott ist, und der Mensch ein gefallener und zu einem jämmerlichen Häuflein Pulver zerborstener Spiegel, der sich immer noch einbildet, wie Gott zu sein und Richter über gut uns böse spielen zu können. So wahr alle Worte Gottes auch sind, so leid tut mir Hiob, dass er das am Ende auch noch durchmachen muss, und ich frage mich, welches Leid von allem das Schlimmste war.
Doch nun! Oh Offenbarung!
Er hatte mir keinen Wettersturm geschickt. Er hatte nur Licht und Ton und Musik ausgeknipst. Flaute ist das Gegenteil von Sturm, kann unsere geistliche Aufmerksamkeit aber ebenso erhöhen. Am toten Punkt begann Er zu reden, und Er sprach ähnlich wie zu Hiob. Ja, ich erkannte Seine Rede an Hiob teilweise wieder. Und doch, da war etwas Unerwartetes, etwas höchst Merkwürdiges und Besonderes mit Seiner Art, Seiner Stimme... Sie war nämlich alles andere als donnernd, schimpfend, anklagend, sie war überraschend ruhig, so zugewandt und aufmerksam, so lächelnd; sie war, als lachte Er fast amüsiert über mich, aber so positiv, dass ich selbst beginnen musste, über mich zu lächeln.
Hast du geglaubt, ich sähe nicht?
Hast du geglaubt, ich wüsste nicht?
Hast du geglaubt, ich liebte nicht?
"Naja, manchmal weiß man eben nicht, was genau Du wirklich alles siehst, weißt und liebst."
Ich werde es dir zeigen.
Seither weiß ich, dass Gottes Stimme an Hiob den Wettersturm nicht übertönt, sondern untergräbt. Seine Vaterstimme ist ein Mysterium, und doch erkennen Seine Kinder sie zweifelsfrei. Im Wettersturm schnitzt sie sich effektvoll aus dem donnernden Chaos heraus, formt Botschaften des Licht und Friedens, ein unerklärliches Voiceover der Ruhe, Stille, Wahrheit und Hoffnung, ohne das tosende Chaos auszublenden. Wer den Vater kennt und hört, wendet sich nicht mehr angstvoll ab sondern lehnt sich neugierig noch weiter in den Sturm hervor, will noch nasser werden vom Regen, noch kälter vom Wind, keine Gedanken an einschlagende Blitze halten einen zurück, denn jeder Zentimeter näher an Gott gibt mehr Schutz und Wärme als alle Bunker der Welt zusammen.
Hiob. Nur vier Buchstaben. Doch sie sprengen jeden Rahmen.
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