So resoniert der evangelische Theologiestudent Hannes Leitlein über seine mögliche Zukunft als Pfarrer - in Anbetracht von Kirchenfinanzen, viel zu großen Pfarrbezirken und mindestens einer zu erwartenden Beerdigung täglich. Zum nahenden ersten Advent sind sicher hoffnungsvollere Themen angebracht. Dennoch möchte ich Euch diesen gut geschriebenen und nachdenklich stimmenden Artikel nicht vorenthalten.
Pensionen statt Visionen
Wenn ich in wenigen Jahren mein Studium abschließe, wird auch die evangelische Kirche am Ende sein. Zwar sprudeln im Moment die Kirchensteuereinnahmen trotz schwindender Mitgliederzahlen wie nie zuvor, aber schon jetzt ist klar, dass die Kirche mit ihren geburtenstarken Pastorenjahrgängen selbst in den Ruhestand versetzt wird. Alle verfügbaren Mittel sind etwa vom Jahr 2020 an für die Pensionsansprüche eingeplant.
Die vergangenen Generationen haben sich im Wohlstand eingerichtet. Seit 1970 hat die evangelische Kirche etwa 30 Prozent ihrer Mitglieder verloren. Auf die Idee, dass das auch etwas für den Haushalt bedeuten könnte, kommt sie erst jetzt. Erschrocken stellen die Verantwortlichen fest, dass sie ihre Sparvorhaben viel schneller umsetzen müssen als erwartet. Bis 2018 nämlich soll die Evangelische Kirche im Rheinland auf landeskirchlicher Ebene in all ihren Arbeitsbereichen 35 Prozent einsparen. Die Arbeit wird eingedampft. „Klein setzen“, nennt der rheinische Präses Manfred Rekowski das. Damit will er wahrscheinlich sagen, dass man sich in Zukunft besser setzt, wenn die Kirchenleitung etwas zu verkünden hat.
Im Rheinland fand aufgrund dieser dramatischen Situation am vergangenen Wochenende eine Sondersynode statt. „Es ist überhaupt keine Frage, dass wir losmarschieren müssen“, sagte Rekowski in der Sporthalle des Evangelischen Schulzentrums in Hilden. Doch den „Sparsynodalen“ geht schon beim Gedanken ans Loslaufen die Puste aus. Dabei hat die zweitgrößte deutsche Landeskirche ihren Sparmarathon noch vor sich. Die Rhetorik der Kirchenleitung erinnert dabei an die Troika, die Griechenland „alternativlos“ kaputt spart. Zwar spricht Rekowski ständig darüber, dass es neben der Finanz- auch eine Relevanzkrise zu überwinden gebe. Erst mal müsse aber eben gespart werden. Es bleibt keine Zeit für Diskussionen. Inhalte werden auf 2018 oder später verschoben. „35 Prozent auf alles!“, verkünden die Sparfüchse.
Das wird die Kirchliche Hochschule in Wuppertal, die evangelischen Schulzentren und die Binnenschifffahrtsmission gleichermaßen treffen. Die Gemeinden seien dagegen nicht betroffen. Sie seien ja schließlich selbst verantwortlich für ihren Haushalt. Doch ob das hektische Spardiktat nicht auch in den Gemeinden Unruhe auslöst, ist ebenso fragwürdig wie die Grundlagen der Berechnung aus dem Landeskirchenamt. Die Kirchensteuereinnahmen sind seit dem Jahr 2005 um weit über 20 Prozent gestiegen. Begründete Sorge bereiten der Kirchenleitung lediglich die eigenen Versorgungs- und Beihilfeansprüche.
Zukunft auf dem Friedhof
Ab 2020 gehen im Rheinland jährlich etwa 100 Pastorinnen und Pastoren in den Ruhestand. Dafür werden es (mutig geschätzt) 20 Frischexamierte über die Hürden des Ausschlussverfahrens ins Pfarrhaus schaffen. Es stellt sich also die Frage: Wie sieht „Missionarische Volkskirche“ aus, wenn nur noch jedes fünfte Pfarrhaus bewohnt ist?
Einen Vorgeschmack davon hat Mecklenburg-Vorpommern schon heute zu bieten. Erste Gebiete der Nordkirche sind dort von der kirchlichen Versorgung abgeschnitten. Bei diesen Aussichten ziehen noch nicht einmal die Privilegien, mit denen wir zukünftigen Pastorinnen und Pastoren bisher geködert werden: Gehälter ab A 12 aufwärts, lebenslange Versorgung, Pfarrhaus, üppige Pensionsansprüche. Allerdings winken dafür etwa 12 000 Gemeindeglieder und sechs bis zehn Beerdigungen pro Woche. Meine Zukunft als Pastor wird sich in erster Linie auf dem Friedhof abspielen.
„Lobe den Herren“, „Time to Say Goodbye“ und andere Lieblingslieder der Trauergemeinden sollte ich mir bis dahin auf der Orgel beibringen. Denn auch um den Stand der Kirchenmusiker ist es schlecht bestellt. Rund 1600 Stellen gibt es für sie bei der Evangelischen Kirche in Deutschland noch. Doch trotz doppelter Jahrgänge können nicht mehr alle Stellen besetzt werden. Die Kirchenmusik pfeift aus dem letzten Loch. Die Kirche erwartet noch das ein oder andere „Jahr der Stille“, es sei denn, klerikale Alleinunterhalter greifen selbst zur Klampfe.
Die Landeskirchen versuchen der Entwicklung entgegenzuwirken. Der Pfarrberuf soll wieder attraktiver gemacht werden. Württemberg hat deshalb nette Videoclips ins Internet gestellt. Die Porträts von Pastorinnen und Pastoren sollen zeigen, wie schön und vielseitig der Pfarrberuf doch ist.
Aber die virale Werbung zieht nicht. Nach wie vor überlegen sich meine kreativen, vielseitigen, motivierten und hoffnungsvollen Kommilitoninnen und Kommilitonen dreimal, ob sie wirklich ins Pfarramt wollen. Seit ich mich vor sechs Jahren für diese Laufbahn entschieden habe, wurde sich von Kirchenseite wenig um mich bemüht. „Ich freue mich, mit Ihnen an der Kirche der Zukunft zu bauen“, sagte die Wuppertaler Superintendentin Ilka Federschmidt einmal zu mir. Das schmeichelt, keine Frage. Aber es war das erste und bisher einzige Mal, dass ich solche Worte vernommen habe. Mein Durchhaltevermögen ist bald aufgebraucht. Ich muss schließlich gegen Krisenstimmung, Sparmaßnahmen und reizvolle Alternativen anstudieren.
Jugend ist verdächtig
Nie wurde mir der demografische Wandel so deutlich vor Augen geführt wie in meinem Gemeindepraktikum. Bisher war ich davon ausgegangen, dass Kirche keine Menschen zwischen 20 und 35 erreicht. Ich wurde eines Besseren belehrt. Kirche erreicht niemanden zwischen 15 und 50. Kirche funktioniert nur drunter oder drüber.
Jugendkirchen werden gegängelt und als lästiges Beiwerk empfunden. Sie müssen sich um den Status quo herum arrangieren und sind größtenteils ehrenamtlich organisiert. Ihnen steht meistens nur ein Bruchteil des Haushalts einer Gemeinde zur Verfügung. In ihnen wird vielleicht die Zukunft der Gemeinde gesehen. Aber sind sie nicht schon jetzt vollwertige Gemeinde?
Junge Erwachsene kommen in der Kirche erst gar nicht vor. Sie werden mit den klassischen Gottesdiensten nicht erreicht, was ganz sicher nicht nur an der Uhrzeit liegt. Dabei kann die Landeskirche nicht behaupten, es würde an Interesse oder Nachfrage fehlen! Der Bedarf an spiritueller Begleitung, die Fragen nach Sinn, Identität, Wahrheit, Zukunft und Ethik sind präsenter denn je.
Freie Gemeinden bieten jungen Erwachsenen diesbezüglich die attraktiveren Formen und allzu oft auch die einfacheren Antworten. Sie sind vielfältig, versuchen sich an alternativen Gottesdienstformen, sie experimentieren mit Sprache, Musik und Medien. Die Landeskirche interessiert das nicht. In fast jeder Großstadt fällt mir auf Anhieb ein spannendes kirchliches Projekt ein. Weiß auch die Kirchenleitung davon?
Der CVJM e/motion, meine Gemeinde in Essen, ist seit Jahren auf der Suche nach einem geeigneteren Ort. Bisher kommt sie in einer alten katholischen Kirche unter, die jetzt Stück für Stück, von Gottesdienst zu Gottesdienst, einem Altenheim weicht. Die evangelische Kirche zeigt sich in ihrem Engagement und ihrer Unterstützung äußerst verhalten. Dabei hat sie der Gemeinde noch im Jahr 2007 den Preis „Fantasie des Glaubens“ verliehen. Im Kirchenkreis stehen etliche Kirchen leer oder werden gerade geschlossen.
Ratlos im Rat
Wen interessiert eigentlich noch, was auf einer EKD-Synode beschlossen wird? Die Informationspolitik des Rates gegenüber der Synode erinnert an Helmut Kohls Zeiten, als Koalitionen noch beim Mittagessen im Bonner Presseclub ausgehandelt wurden.
Auch in der Synode sind junge Erwachsene massiv unterrepräsentiert. Es gibt acht Jugenddelegierte, dazu fünf gewählte und eine berufene Synodale unter 30 Jahren. Die acht jungen Erwachsenen werden auch hier – wie der Name zeigt – nicht für voll genommen. Sie haben kein Stimm-, sondern nur Rederecht. Gehört werden sie trotzdem nur selten. Immerhin konnten sie sich für die nächste Synode mehr Mitspracherecht erkämpfen. Beim Thema „Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft“ sind die Analog-Natives auf die junge Generation angewiesen.
Beim Reformationsjubiläum wiederum ist unsere Meinung nicht gefragt. Es würde doch, so der Ratsvorsitzende auf Nachfrage der Jugenddelegierten, ein Jugendcamp geben. Um mitbestimmen zu dürfen, muss man die Reformation offensichtlich noch selbst miterlebt haben.
Auch die jetzt anstehenden Sparmaßnahmen werden ohne jegliche Beteiligung der betroffenen Generation durchgeboxt. Noch nicht einmal wir Theologiestudierenden werden in die Prozesse eingebunden. Dabei geht es nicht nur um die Pensionsansprüche derjenigen, die jetzt Entscheidungen treffen. Es geht vor allem um die Zukunft derer, die die jetzt Verantwortlichen kirchlich beerdigen werden.
Ab nach Taizé!
Die evangelische Kirche hat keine Antwort auf die Fragen der Zeit. Sie ist mit den Fragen von vorgestern beschäftigt. Sie biedert sich dem Zeitgeist nicht an, wie ihr oft vorgeworfen wird, sie hinkt ihm mit zunehmendem Abstand hinterher. Sie findet keine neuen Worte für die alten Wahrheiten. Wer bitte kann 500 Jahre nach der Reformation noch Rechtfertigung erklären? Wie soll Blut meine Weste weißwaschen? Was hat ein Lamm mit meinen Schulden zu tun? Warum hat Jesus den Sturm auf den Philippinen nicht gestillt? Was ist der Unterschied zwischen der totalen Überwachung durch die Geheimdienste und Gottes Buchführung? Warum trefft ihr euch jede Woche, um einen Gekreuzigten zu verehren? Was ist Buße? Wie geht beten? Vergebung?
Die Kirche ist sprachlos. Sie hat nichts mehr zu sagen, und sie traut sich auch nicht, die alten Worte den neuen Wahrheiten entgegenzuhalten. Ist ein Schuldenerlass für Griechenland nicht biblisch geboten? Wäre Paulus an Frontex vorbeigekommen? Ist Galater 3 („Da ist nicht jüdisch noch griechisch, da ist nicht versklavt noch frei, da ist nicht männlich und weiblich: denn alle seid ihr einzig-einig im Messias Jesus“) ein Beitrag zur Gender – debatte? Die Kirche bietet keinen Raum für Zweifel und Fragen. Der Protestantismus stiftet keine Unruhe mehr. Die Unruhigen werden stattdessen auf Taizé- Abende verwiesen.
„Ohne Vision verwildert ein Volk“, heißt es im Buch der Sprüche. Wie soll Kirche in 20 Jahren aussehen? Werden wir noch eine Binnenschifffahrtsmission brauchen? Oder sollten stattdessen Schulen und Ausbildungsstätten erhalten werden? Geht es nach den Verantwortlichen, bleibt alles beim Alten – nur eben 35 Prozent kleiner, überschaubarer und „diasporafähig“, wie Manfred Rekowski es ausdrückt.
Die Kirche muss nicht auf alle Fragen eine Antwort parat haben. Antworten zu haben wäre auch nicht zeitgemäß. Aber die Kirche sollte doch zumindest wieder anfangen, Fragen zu stellen.
Der Originalartikel von Hannes Leitlein kann hier gefunden werden und wurde unter einer Creative-Commons-Lizenz auf new-reformation.blogspot.com veröffentlicht.
O Gott, was kommt da auf mich zu?
Von Hannes LeitleinPensionen statt Visionen
Wenn ich in wenigen Jahren mein Studium abschließe, wird auch die evangelische Kirche am Ende sein. Zwar sprudeln im Moment die Kirchensteuereinnahmen trotz schwindender Mitgliederzahlen wie nie zuvor, aber schon jetzt ist klar, dass die Kirche mit ihren geburtenstarken Pastorenjahrgängen selbst in den Ruhestand versetzt wird. Alle verfügbaren Mittel sind etwa vom Jahr 2020 an für die Pensionsansprüche eingeplant.
Die vergangenen Generationen haben sich im Wohlstand eingerichtet. Seit 1970 hat die evangelische Kirche etwa 30 Prozent ihrer Mitglieder verloren. Auf die Idee, dass das auch etwas für den Haushalt bedeuten könnte, kommt sie erst jetzt. Erschrocken stellen die Verantwortlichen fest, dass sie ihre Sparvorhaben viel schneller umsetzen müssen als erwartet. Bis 2018 nämlich soll die Evangelische Kirche im Rheinland auf landeskirchlicher Ebene in all ihren Arbeitsbereichen 35 Prozent einsparen. Die Arbeit wird eingedampft. „Klein setzen“, nennt der rheinische Präses Manfred Rekowski das. Damit will er wahrscheinlich sagen, dass man sich in Zukunft besser setzt, wenn die Kirchenleitung etwas zu verkünden hat.
Im Rheinland fand aufgrund dieser dramatischen Situation am vergangenen Wochenende eine Sondersynode statt. „Es ist überhaupt keine Frage, dass wir losmarschieren müssen“, sagte Rekowski in der Sporthalle des Evangelischen Schulzentrums in Hilden. Doch den „Sparsynodalen“ geht schon beim Gedanken ans Loslaufen die Puste aus. Dabei hat die zweitgrößte deutsche Landeskirche ihren Sparmarathon noch vor sich. Die Rhetorik der Kirchenleitung erinnert dabei an die Troika, die Griechenland „alternativlos“ kaputt spart. Zwar spricht Rekowski ständig darüber, dass es neben der Finanz- auch eine Relevanzkrise zu überwinden gebe. Erst mal müsse aber eben gespart werden. Es bleibt keine Zeit für Diskussionen. Inhalte werden auf 2018 oder später verschoben. „35 Prozent auf alles!“, verkünden die Sparfüchse.
Das wird die Kirchliche Hochschule in Wuppertal, die evangelischen Schulzentren und die Binnenschifffahrtsmission gleichermaßen treffen. Die Gemeinden seien dagegen nicht betroffen. Sie seien ja schließlich selbst verantwortlich für ihren Haushalt. Doch ob das hektische Spardiktat nicht auch in den Gemeinden Unruhe auslöst, ist ebenso fragwürdig wie die Grundlagen der Berechnung aus dem Landeskirchenamt. Die Kirchensteuereinnahmen sind seit dem Jahr 2005 um weit über 20 Prozent gestiegen. Begründete Sorge bereiten der Kirchenleitung lediglich die eigenen Versorgungs- und Beihilfeansprüche.
Zukunft auf dem Friedhof
Ab 2020 gehen im Rheinland jährlich etwa 100 Pastorinnen und Pastoren in den Ruhestand. Dafür werden es (mutig geschätzt) 20 Frischexamierte über die Hürden des Ausschlussverfahrens ins Pfarrhaus schaffen. Es stellt sich also die Frage: Wie sieht „Missionarische Volkskirche“ aus, wenn nur noch jedes fünfte Pfarrhaus bewohnt ist?
Einen Vorgeschmack davon hat Mecklenburg-Vorpommern schon heute zu bieten. Erste Gebiete der Nordkirche sind dort von der kirchlichen Versorgung abgeschnitten. Bei diesen Aussichten ziehen noch nicht einmal die Privilegien, mit denen wir zukünftigen Pastorinnen und Pastoren bisher geködert werden: Gehälter ab A 12 aufwärts, lebenslange Versorgung, Pfarrhaus, üppige Pensionsansprüche. Allerdings winken dafür etwa 12 000 Gemeindeglieder und sechs bis zehn Beerdigungen pro Woche. Meine Zukunft als Pastor wird sich in erster Linie auf dem Friedhof abspielen.
„Lobe den Herren“, „Time to Say Goodbye“ und andere Lieblingslieder der Trauergemeinden sollte ich mir bis dahin auf der Orgel beibringen. Denn auch um den Stand der Kirchenmusiker ist es schlecht bestellt. Rund 1600 Stellen gibt es für sie bei der Evangelischen Kirche in Deutschland noch. Doch trotz doppelter Jahrgänge können nicht mehr alle Stellen besetzt werden. Die Kirchenmusik pfeift aus dem letzten Loch. Die Kirche erwartet noch das ein oder andere „Jahr der Stille“, es sei denn, klerikale Alleinunterhalter greifen selbst zur Klampfe.
Die Landeskirchen versuchen der Entwicklung entgegenzuwirken. Der Pfarrberuf soll wieder attraktiver gemacht werden. Württemberg hat deshalb nette Videoclips ins Internet gestellt. Die Porträts von Pastorinnen und Pastoren sollen zeigen, wie schön und vielseitig der Pfarrberuf doch ist.
Aber die virale Werbung zieht nicht. Nach wie vor überlegen sich meine kreativen, vielseitigen, motivierten und hoffnungsvollen Kommilitoninnen und Kommilitonen dreimal, ob sie wirklich ins Pfarramt wollen. Seit ich mich vor sechs Jahren für diese Laufbahn entschieden habe, wurde sich von Kirchenseite wenig um mich bemüht. „Ich freue mich, mit Ihnen an der Kirche der Zukunft zu bauen“, sagte die Wuppertaler Superintendentin Ilka Federschmidt einmal zu mir. Das schmeichelt, keine Frage. Aber es war das erste und bisher einzige Mal, dass ich solche Worte vernommen habe. Mein Durchhaltevermögen ist bald aufgebraucht. Ich muss schließlich gegen Krisenstimmung, Sparmaßnahmen und reizvolle Alternativen anstudieren.
Jugend ist verdächtig
Nie wurde mir der demografische Wandel so deutlich vor Augen geführt wie in meinem Gemeindepraktikum. Bisher war ich davon ausgegangen, dass Kirche keine Menschen zwischen 20 und 35 erreicht. Ich wurde eines Besseren belehrt. Kirche erreicht niemanden zwischen 15 und 50. Kirche funktioniert nur drunter oder drüber.
Jugendkirchen werden gegängelt und als lästiges Beiwerk empfunden. Sie müssen sich um den Status quo herum arrangieren und sind größtenteils ehrenamtlich organisiert. Ihnen steht meistens nur ein Bruchteil des Haushalts einer Gemeinde zur Verfügung. In ihnen wird vielleicht die Zukunft der Gemeinde gesehen. Aber sind sie nicht schon jetzt vollwertige Gemeinde?
Junge Erwachsene kommen in der Kirche erst gar nicht vor. Sie werden mit den klassischen Gottesdiensten nicht erreicht, was ganz sicher nicht nur an der Uhrzeit liegt. Dabei kann die Landeskirche nicht behaupten, es würde an Interesse oder Nachfrage fehlen! Der Bedarf an spiritueller Begleitung, die Fragen nach Sinn, Identität, Wahrheit, Zukunft und Ethik sind präsenter denn je.
Freie Gemeinden bieten jungen Erwachsenen diesbezüglich die attraktiveren Formen und allzu oft auch die einfacheren Antworten. Sie sind vielfältig, versuchen sich an alternativen Gottesdienstformen, sie experimentieren mit Sprache, Musik und Medien. Die Landeskirche interessiert das nicht. In fast jeder Großstadt fällt mir auf Anhieb ein spannendes kirchliches Projekt ein. Weiß auch die Kirchenleitung davon?
Der CVJM e/motion, meine Gemeinde in Essen, ist seit Jahren auf der Suche nach einem geeigneteren Ort. Bisher kommt sie in einer alten katholischen Kirche unter, die jetzt Stück für Stück, von Gottesdienst zu Gottesdienst, einem Altenheim weicht. Die evangelische Kirche zeigt sich in ihrem Engagement und ihrer Unterstützung äußerst verhalten. Dabei hat sie der Gemeinde noch im Jahr 2007 den Preis „Fantasie des Glaubens“ verliehen. Im Kirchenkreis stehen etliche Kirchen leer oder werden gerade geschlossen.
Ratlos im Rat
Wen interessiert eigentlich noch, was auf einer EKD-Synode beschlossen wird? Die Informationspolitik des Rates gegenüber der Synode erinnert an Helmut Kohls Zeiten, als Koalitionen noch beim Mittagessen im Bonner Presseclub ausgehandelt wurden.
Auch in der Synode sind junge Erwachsene massiv unterrepräsentiert. Es gibt acht Jugenddelegierte, dazu fünf gewählte und eine berufene Synodale unter 30 Jahren. Die acht jungen Erwachsenen werden auch hier – wie der Name zeigt – nicht für voll genommen. Sie haben kein Stimm-, sondern nur Rederecht. Gehört werden sie trotzdem nur selten. Immerhin konnten sie sich für die nächste Synode mehr Mitspracherecht erkämpfen. Beim Thema „Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft“ sind die Analog-Natives auf die junge Generation angewiesen.
Beim Reformationsjubiläum wiederum ist unsere Meinung nicht gefragt. Es würde doch, so der Ratsvorsitzende auf Nachfrage der Jugenddelegierten, ein Jugendcamp geben. Um mitbestimmen zu dürfen, muss man die Reformation offensichtlich noch selbst miterlebt haben.
Auch die jetzt anstehenden Sparmaßnahmen werden ohne jegliche Beteiligung der betroffenen Generation durchgeboxt. Noch nicht einmal wir Theologiestudierenden werden in die Prozesse eingebunden. Dabei geht es nicht nur um die Pensionsansprüche derjenigen, die jetzt Entscheidungen treffen. Es geht vor allem um die Zukunft derer, die die jetzt Verantwortlichen kirchlich beerdigen werden.
Ab nach Taizé!
Die evangelische Kirche hat keine Antwort auf die Fragen der Zeit. Sie ist mit den Fragen von vorgestern beschäftigt. Sie biedert sich dem Zeitgeist nicht an, wie ihr oft vorgeworfen wird, sie hinkt ihm mit zunehmendem Abstand hinterher. Sie findet keine neuen Worte für die alten Wahrheiten. Wer bitte kann 500 Jahre nach der Reformation noch Rechtfertigung erklären? Wie soll Blut meine Weste weißwaschen? Was hat ein Lamm mit meinen Schulden zu tun? Warum hat Jesus den Sturm auf den Philippinen nicht gestillt? Was ist der Unterschied zwischen der totalen Überwachung durch die Geheimdienste und Gottes Buchführung? Warum trefft ihr euch jede Woche, um einen Gekreuzigten zu verehren? Was ist Buße? Wie geht beten? Vergebung?
Die Kirche ist sprachlos. Sie hat nichts mehr zu sagen, und sie traut sich auch nicht, die alten Worte den neuen Wahrheiten entgegenzuhalten. Ist ein Schuldenerlass für Griechenland nicht biblisch geboten? Wäre Paulus an Frontex vorbeigekommen? Ist Galater 3 („Da ist nicht jüdisch noch griechisch, da ist nicht versklavt noch frei, da ist nicht männlich und weiblich: denn alle seid ihr einzig-einig im Messias Jesus“) ein Beitrag zur Gender – debatte? Die Kirche bietet keinen Raum für Zweifel und Fragen. Der Protestantismus stiftet keine Unruhe mehr. Die Unruhigen werden stattdessen auf Taizé- Abende verwiesen.
„Ohne Vision verwildert ein Volk“, heißt es im Buch der Sprüche. Wie soll Kirche in 20 Jahren aussehen? Werden wir noch eine Binnenschifffahrtsmission brauchen? Oder sollten stattdessen Schulen und Ausbildungsstätten erhalten werden? Geht es nach den Verantwortlichen, bleibt alles beim Alten – nur eben 35 Prozent kleiner, überschaubarer und „diasporafähig“, wie Manfred Rekowski es ausdrückt.
Die Kirche muss nicht auf alle Fragen eine Antwort parat haben. Antworten zu haben wäre auch nicht zeitgemäß. Aber die Kirche sollte doch zumindest wieder anfangen, Fragen zu stellen.
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